Die Klaviermanufaktur Sébastien Érard in Paris
Gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts gab es drei große Zentren des Klavierbaus: Wien, London und Paris. Eine der Pariser Firmen, die es zu Weltruhm brachte, war der Betrieb von Sébastien Érard. Instrumente aus seiner Werkstatt erlangten internationale Berühmtheit und wurden von Musikern und Komponisten gleichermaßen geschätzt.
Sébastien Érard wurde am 5. April 1752 in Straßburg geboren und gehört zu den bedeutendsten Klavierbauern im späten 18. und 19. Jahrhundert. Neben Taskin und Mercken baute er die ersten Klaviere in Frankreich.
Sein Vater war Möbelschreiner und er ging 1768 bei verschiedenen Pariser Cembalobauern in die Lehre (leider ist nicht überliefert, bei wem er in der Lehre war). Ab 1770 hatte er seine eigene Werkstatt der Rue de Bourbon. Neben Klavieren wurden auch Harfen gebaut.
Im Jahre 1781 wechselte er mit seiner Werkstatt in die Rue du Mail No. 13 und 21. Sein Bruder Jean-Baptiste (1750 – 1826) kam im gleichen Jahr aus dem Elsass hinzu und unterstütze die Arbeiten und lieh ihm Geld. Am 5. Februar 1785 erhielt Sébastien die offizielle Lizenz für den Bau von Instrumenten. Zusammen mit seinem Bruder entstand dann 1788 eine offizielle Partnerschaft und die beiden weiteten ihr Geschäft ab 1792 nach London aus. Die Adresse war Great Marlborough Street No. 18. 1794 patentierte er eine erste Mechanik.
Nach dem Ende der französischen Revolution und dem Ausbau der Zweigstelle in London ging er 1796 nach Paris zurück.
Laut den erhaltenen Geschäftsunterlagen bauten die beiden den ersten Flügel im Jahre 1796. 1803 schenkte die Firma Ludwig van Beethoven einen Flügel. Beethovens Geschenk mit der Seriennummer 133 ist baugleich wie der Érard Flügel von 1802 (Seriennummer 107) in der Eric Feller Early Keyboard Collection. Beethoven überließ das Instrument 1824/1825 seinem Bruder Nikolaus Johann. Über ihn kam das Instrument schließlich 1845 in den Besitz des Oberösterreichischen Landesmuseums nach Linz.
Die Flügel von Érard zeichneten sich durch einen hervorragenden Klang, leichte Spielweise und eine hoch elegante Verarbeitung aus. Der Kunde hatte bei Bestellung die Möglichkeit, aus verschiedenen Bronzen für die Verzierung des Korpus auswählen zu können.
1808 patentierte Sébastien Érard als erster eine Repetitionsmechanik und Agraffen im Klavierbau. In den Jahren von 1808 bis 1814 lebte Sébastien in England, während sein Bruder Jean Baptiste die Firma in Frankreich weiter führte, die jedoch 1813 bankrott ging. Mit Zahlungen aus der florierenden Londoner Zweigstelle konnten die Forderungen jedoch beglichen werden und Betrieb weitergeführt werden.
1814 ging Jean Baptiste Pierre Orphée Érard (1794 –1855), Sébastiens Neffe nach London. Er führte die Außenstelle mit großem Geschick, dass Sébastien nach Frankreich zurückkehren konnte. Nach dem Tod des Bruders Jean-Baptiste 1826 wurde Pierre Teilhaber der Firma. Im Jahr 1822 wurden erstmals Klaviere mit 7 Oktaven Umfang gebaut. Diese Instrumente waren mit verschiedenen Metallspreizen verstärkt. Im gleichen Jahr wurde von Pierre Érard unter der Patentnummer 2170 ein „Compensator Frame“ Flügel patentiert, der in Anlehnung an die Instrumente von William Allen und James Thom bei William Stodart in London gefertigt wurden. Durch die Londoner Außenstelle kam Pierre mit diesen Instrumenten in Kontakt, die dort zwei Jahre zuvor 1820 patentiert wurden waren. Da das Patent in England dafür bereits ausgestellt war, ließ er ein fast identisches Patent unter seinem Namen in Frankreich ausstellen. Ein Beispiel für die englischen „Compensator Frame“ Instrumente von William Stodart finden Sie hier.
Verschiedene Patente und Weiterentwicklungen von Érard trugen zum großen Erfolg der Firma bei. Beispielsweise die Erfindung der doppelten Repetitionsmechanik 1821 (Patentnummer: 4631), die noch heute in Instrumenten verwendet wird.
Die Firma Érard avancierte schnell zu eine der führenden Klavierbaufirmen. Franz Liszt (1811 – 1886) war der Pianist des Hauses Érard und spiele in seinen Konzerten bevorzugt Érard Instrumente.
Am 5. August 1831 starb Sébastien Érard in La Muette bei Passy, heute im 16. Arrondissement. Die Firma wurde daraufhin von seinem Neffen Pierre mit großem Erfolg weiter geführt.
Nach dem Tod von Pierre am 16. August 1855 wurde die Firma von seiner Frau Camille Février und ihrem Stiefbruder M. Schaeffer in Frankreich weiter geführt. Die Londoner Außenstelle wurde von M. Bruzaud geleitet. Im August 1873 wurde Amédée Blondel Partner von Camille Érard und Direktor der Firma in Paris.
In den 1960er Jahren fusionierte Érard zusammen mit Gaveau, Boisselot und Pleyel und wurde dann von der Braunschweiger Klaviermanufaktur Schimmel aufgekauft. In den 1990er Jahren wurde die Firma von einigen privaten Investoren zurück gekauft und die Produktion von Klavieren wieder fortgeführt bis zur endgültigen Schließung des Betriebes 2013.
Quellen:
- Harding R. E. M.: The Pianoforte ― its history traced to the Great Industrial Exhibition of 1851 (Gresham Books 1978)
- Bloom, P.: Music in Paris in the 1830’s. New-York, Pendragon press 1987
- Brancour, R.: Histoire des instruments de musique. Paris, Henri Laurens 1921
- Burnett, R.: Company of pianos. Finchcocks Press, 2004
- Emmanuel, A.: La harpe, son évolution, ses facteurs. Paris, Dessain et Tolra. 1980
- Getreau, F.: Les collections instrumentales du Conservatoire de Paris. 1793-1993. Paris, Editions Klincksieck. 1996
- Melville, D.: Beethoven’s pianos: The Beethoven Companion. London, Faber and Faber. 1971
- Adelson R., Roudier A., Nex J., Barthel L., Foussard M.: The History of the Erard Piano and Harp in Letters and Documents, 1785–1959, Cambridge 2015
© Eric Feller – Early Keyboard Collection – April 2018